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Erst im Oktober 2003 fanden wir handschriftliche Aufzeichnungen unseres Großvaters, in denen er sein Leben als Rennfahrer detailliert beschreibt. Es mag sein, dass mir bei der Übersetzung der in Sütherlin geschriebenen Handschriften einige Fehler bei den Namen seiner Konkurrenten unterlaufen sind. Für Hilfen bin ich - wie immer - dankbar.

Clemens Schürmann mit 17

Clemens Schürmann

Lebenslauf als Rennfahrer

(beschriebener Zeitraum 1888-1909)

Clemens Schürmann als ca 21jähriger

Am 24. Mai 1888 wurde ich als Sohn des Bildhauermeisters Carl Schürmann zu Münster i./Westf. Geboren. Nebenbei bemerkt sei, mein Vater war zur Zeit Vorsitzender eines alten Münsterschen Radsportklubs. Im Januar 1898 wurde uns der liebe Vater durch den Tod entrissen im Alter von nur 47 Jahren.

Ich besuchte vom 6ten bis 14ten Lebensjahre die Volksschule und kam nach Beendigung derselben bei einem Münsterschen Architekten als Zeichner in die Lehre. Auf dem Büro war nun auch ein früherer Amateur namens „Wagner“ beschäftigt als Techniker. Dieser war der Freund meines Bruders, der auch früher Rennfahrer war. Zusammen bildeten sie eine gute Tandemmannschaft und waren auf den Westfälischen Bahnen unbesiegbar.

Das Interesse für den Sport scheint überhaupt in unserer Familie erblich zu sein, und stieg dasselbe bei mir noch mehr durch die Beobachtung des Trainings. Wenn dann die Herrn“ Rennfahrer“ mal die Wirtschaftsräume der Rennbahn aufsuchten, oder sonst wie durch Abwesenheit glänzten, dann kletterten wir - mein Spielgenosse und bester Jugendfreund Max Dham und ich - auf die herrenlosen Räder, um aber sogleich damit umzustürzen, denn unsere Beine reichten noch nicht an die Pedale. Ich war nahezu 11 Jahre und konnte immer noch nicht radfahren. Dann kam wieder einmal die Fastnachtszeit (Carneval) an den drei Tagen ging mein Bruder zum Maskenball. Diese Gelegenheit benutzte ich, um mir das Radfahren zu lernen, denn das Rad stand im Hausflur, der ungefähr die Flächenausdehnung von 1,50m und 5,00m hat. Hier wurde nun an den Abenden geübt, und hat es mir in dem winterlich, warmen Raum manchen Tropfen Schweiß gekostet. Was lange währt wird endlich gut. So vergingen 3 Fastnachtstage die mir aus dem Gedächtnis nie schwinden werden, und ich konnte „radfahren“, hatte es mir außerdem allein gelernt. Als ich nun einige Tage später das Rad meines Bruders im Hofe stehen bemerkte, wollte ich mich auch einmal auf der Straße versuchen. Anfänglich noch etwas unsicher, da mit die Wände zu beiden Seiten fehlten, wo ich mich anlehnen konnte, falls ich das Gleichgewicht verlor, aber der wunde Punkt war bald überwunden , denn „wenn der Wille da ist, so hat man schon halbe Arbeit vollbracht“. Von dieser Zeit an war kein bekanntes Fahrrad für mich unbrauchbar, ob hoch oder nieder, ob mit oder ohne Reifen. Wenn dann mein Bruder am Sonntag zum Frühschoppen in der Stadt war, machte ich mit seinem Rad Touren oder ging zur Rennbahn, um zu „trainieren“ aber immer heimlich, ohne seine Erlaubnis, da er mir ja jedenfalls eine solche nicht gegeben hätte. Sehr oft war aber eine große Tracht Prügel die Folge meines Vergnügens, wenn er mal vorzeitig zurück kehrte und merkte, dass sein Fahrrad nicht da war.(Mein Bruder ist 9 Jahre älter als ich.)

So vergingen meine letzten Schuljahre. Außer der schönen freien Zeit verlor ich auch noch meinen Freund Max Dham, da dessen Familie nach Hannover ging. Derselbe war sehr stark gebaut und kaufte sein Vater, der pensionierter Poastdirektor war, ihm eine Rennmaschine womit er in Hannover zu trainieren begann, aber Gott hatte es anders bestimmt. Er hat an einem Tage hinter dem Schrittmacher Douglas gefahren und es ist am Motor ein Defekt eingetreten wodurch er zum Sturz kam und sich innerliche Verletzungen zuzog, woran er nach zwei Monaten erlegen ist. Wie ich die Nachricht vom Tode bekam, war ich so traurig, dass ich ein ganzes Jahr lang die Lust zum Radsport verlor, doch das Sprichwort sagt: „Es ist nichts eher vergessen als die Toten.“ Es ist wahr aber auch zugleich gut, dass es so ist. Langsam kam das Interesse wieder.

Am 5ten September (19)05 war vom Gau 3 Westfalen ein Ausflug in die, in der Nähe Münsters gelegenen Baumberge. Ich machte die Tour mit. Am Nachmittag fanden dort verschiedene Rennen statt; um aber Satzung des Gau III Westfalen des D.R.B.mitfahren zu dürfen, musste ich erst dem Bunde angehören. Da nun der Gaufahrwart zugegen war, wurde ich sofort aufgenommen und konnte das Rennen bestreiten und gewann auch sämtliche Rennen, ein langes und kurzes Bergfahren und ein Langsamfahren. Dieses war mein erster Erfolg als „Rennfahrer“.
Am Sonntag darauf veranstaltete ein anderer Münsterscher Radfahrverein ein Straßenrennen über 10km welches ich auch gewann.

EhrenurkundeEhrenurkunde 1905 für die 20km Der 8te Okt. 05 fand mich zum ersten Mal als Bahnfahrer. Der Gau hielt in Münster seinen Gautag und wurden gleichzeitig an dem Tag Radrennen für Bundesmitglieder abgehalten. Ich gewann das 20km ohne Führung, das Vorgabefahren vom Mal und wurde im Hauptfahren Zweiter hinter dem unter Protest fahrenden, jetzigem Dauerfahrer Klöpper. Später wurde mir hierfür der erste Preis auch zuerkannt.

Im Juli 06 fanden die selben Rennen beim Gautag in Dortmund statt, hatten genau dasselbe Resultat und sei noch bemerkt, dass ich das Hauptfahren gegen einen wirklichen Amateur verlor und das 20km zur Hälfte mit gebrochener Lenkstange gefahren und auch gewonnen habe.

Jetzt kam eine Zeit, wo kein Rennen mehr vom Bund veranstaltet wurde, und bot mir ein Münsterscher Sporthändler eine Maschine gratis an; so startete ich am 14ten April 07 zum ersten mal als Berufsfahrer in Münster und gewann an dem Tag das Hauptfahren vor Hauk und Hottenrod und Raul. Am 5ten Mai fand das nächste Rennen statt; ich wurde im Hauptfahren Dritter hinter Hellemann und Conrad. Im Dauerrennen starteten an diesem Tage Stellbrink, Gror und Mast. Schon beim ersten Rennen in der zweiten Runde stürzte Mast so unglücklich, dass er sich den Oberarm doppelt brach. Damit nun in dem darauf folgendem 50km Rennen wenigstens drei Fahrer auf der Bahn sein sollten, so bat mich die Direktion das Rennen zu bestreiten. In meinem jugendlichen Eifer war ich natürlich sofort bereit und ich glaube dieses war das einzige Dauerrennen wo ich keine Furcht vor dem Stürzen gehabt habe. Zwar noch nie hinter einem Motor gefahren und ohne einige Proberunden zu machen, ging ich in das große Rennen. Ich hatte das Gefühl, als führe ich hinter einer großen, sich vorwärts bewegenden Wand. Die ersten 20km ging es im Schneckentempo um die Bahn, dann sprach mir der Schrittmacher E. Bärtling aber gut zu und munterte mich auf, so dass wir Gror wenigstens etwas hielten wenn er passieren wollte. Die letzten 20km ist er nicht mehr an uns vorbei gekommen. Durch dieses Rennen hatte ich mir große Sympathien beim Publikum erworben und habe ich in dem Jahre sämtliche Dauerrennen auf der Heimatbahn bestritten.

Beim nächsten Rennen am 9. Juni gewann ich die Meisterschaft von Münster hinter(dem Schrittmacher) J. Käser, Zweiter Meisel, Dritter Michaelis.

Am 7. Juli waren Hol und Bodewig meine Gegner doch stürzte an dem Tage der nassen Bahn wegen in jeder Runde einer und im letzten 20km Lauf brach ich mir durch Sturz das Schlüsselbein und habe dann noch 6 Kilometer in meinem Eifer gefahren und das Rennen gewonnen, um aber dann in der Kabine ohnmächtig zusammen zu sinken. Dieses ist mal wieder ein Beweis, was Energie vermag zu tun. Es war nur ein glatter Bruch und konnte ich schon 5 Wochen später wieder starten. Ich sollte mich gegen den unglücklichen, mir so sympathischen Verbist und Stellbrink messen. Durch mangelhaftes Training waren meine Kräfte geschwächt und musste ich im ersten Lauf schon bei 20km aufgeben; im zweiten Lauf (50km) war ich bis zur letzten Runde Zweiter als ich einen Moment vom Motor abgegangen war, mit dem Gedanken, mein Reifen sei geplatzt und so wurde ich auch da Letzter.

Am 7. August standen im Programm Schulze, Schiefer, Schürmann. Die Rennen gingen über 10, 20 und 30 Kilometer und ich wurde in allen Läufen Erster vor Schulze und Schiefer, Letzterer hatte immer Motordefekt.

Das interessanteste aller Dauerrennen in Münster war am 5ten September. Ich trat gegen Bruni hinter Hoffmann und Schulze in Konkurrenz über 10km und 1 Stunde. Im 10km Rennen wurde ich Letzter. Beim Stundenrennen erhielt Bruni zuerst Anschluss, dann ich und zuletzt Schulze. Da nun die Bahn flach ist und man deshalb schlecht passieren kann, so haben wir das ganze Rennen auf eine halbe Runde Abstand hintereinander gelegen. Es war ein fortwährender Kampf vor mir das Geknatter und hinter mir dasselbe, bis in den letzten zwei Minuten Bruni einen Moment schwamm und ich sogleich vorbei war und dann Erster geworden bin in dem Lauf. Einen größeren Applaus habe ich nie bekommen, auf den Schultern haben sie mich fortgetragen.
Nach meinem guten Abschneiden sollte ich noch mal gegen Stellbrink starten und fand im Oktober ein Match statt in welchem Stellbrink sicherer Sieger blieb. Zu berücksichtigen ist, dass ich zu fast allen Rennen, die ich in der Saison bestritt einen anderen Schrittmacher bekam da derselbe von der Direktion engagiert wurde und ich immer nur drei Tage hinter einem Motor fahren konnte, da zu der Zeit in Münster kein Schrittmachermotor war. So schloss die Saison 1907 während der ich nur einmal als Sieger noch in Crefeld (Krefeld) startete und dort an dem Tage drei Rennen gewann.

Nachdem ich den Sommer über das übliche Halbjahr als Maurer auf der Baustelle gearbeitet hatte, ging ich am 18ten Oktober zur Baugewerkschule, um das Wintersemester mitzumachen und blieb dortselbst bis zum 18ten März.

Den Sommer (19)08 brachte ich bei meinem früheren Chef auf dem Büro zu. Die Lust zur Bestreitung von Dauerrennen war mir im Winter ganz vergangen und nur weil ich noch ein Engagement zu erfüllen hatte, startete ich am 31ten Mai gegen Stellbrink und Günther und wurde auch jedes mal Letzter. Es fehlte eben der Wille. Beim Eröffnungsrennen in Münster am 12ten April konnte ich Stellbrink im Hauptfahren schlagen und das Handikap verlor ich nur durch Sturz. Am dritten Mai fuhr ich mein einziges Dauerrennen außerhalb und zwar in Dortmund gegen Nest und den Neger Spain, - ich wurde Zweiter hinter Nest.

Nach der Zeit habe ich Fliegerrennen in Münster, Duisburg und Cöln (Köln) gefahren, davon auch viele gewonnen.

Am 3ten Juli und 2ten August bestritt ich die Weltmeisterschaft welche 1908 in Berlin Steglitz abgehalten wurde. Die Rennen schienen für mich aussichtslos und es war mein Zweck, nur mal eine Weltmeisterschaft zu sehen. Ich war nun aber sehr von Fortuna begünstigt und schon im Vorlauf zur Weltmeisterschaft konnte ich Peter und Beltinger schlagen. Am Sonntag den 2ten August wurde ich im Zwischenlauf von Ellegard und Arend geschlagen, gewann aber dafür das große Weltmeisterschaftshandikap mit 60m Vorgabe. Durch diese Erfolge hatte ich mir einen Namen erworben und wurde derselbe durch die Sport- und Tageszeitungen schnell verbreitet.

Am folgenden Sonntag gewann ich in Münster die Fliegerrennen gegen lokale Konkurrenz.
Am 23ten August wurde ich in Leipzig im Handikap Zweiter hinter Ellegard und im Entschädigungsfahren Erster vor Poulier, Peter usw.
An den folgenden Sonntagen war ich in Magdeburg, in Hannover, konnte aber nur Plätze belegen.
In Münster verlor ich wegen Felgenbruch das Hauptfahren gegen Wegener, doch revanchierte ich mich im Meilenfahren welches ich gewann und im Handikap wurde ich Dritter. (1.Pl. Wegener)
Am 4ten Oktober war mein letzter Start der Saison in Cöln (Köln) und ich siegte im Hauptfahren gegen Moretti, Aschoff und im Prämienfahren gegen Aschoff, Jottenrod. Damit schloss meine so sehr vom Glück begünstigte Saison 1908.

Vom 18ten Oktober bis 18ten März 09 besuchte ich die Schule, um das 3te der 5 Semester, die ich zu machen hatte, zu absolvieren. Nach eifrigem Training fuhr ich mein erstes Rennen 09 in Berlin zu Ostern und gewann an 3 Tagen 5 Rennen und wurde nur einmal Zweiter.
Am folgenden Sonntag in Düsseldorf wurde ich Dritter im Hauptfahren hinter Aschoff und Wegener, im Meilenfahren aber Erster. Die nächsten Sonntage war ich in Münster, Duisburg, Dortmund, Düsseldorf und Cöln (Köln) am Start und hatte das Glück fast sämtl. Rennen zu gewinnen.
Am 4ten, 8ten und 11ten Juni war ich zum Großen Preis in Paris, doch blieb der erhoffte Erfolg aus.
In Aachen gewann ich an einem Tage 3 Rennen gegen Otto Meyer, Beltinger und an einem anderen Sonntage dortselbst 3 Rennen gegen Moretti, Aschoff, Bömer u.a.

Mein größter Erfolg in der Saison war am 1ten August, dem Jahrestage der Weltmeisterschaft 08. Ich gewann in Düsseldorf den großen Preis der “schönen Künste“ gegen Arend, Otto Meyer, Mayor Tailor und Wegener. Am 8ten August gewann ich in Dortmund wieder drei Rennen.

Die Weltmeisterschaft in Kopenhagen sah mich wieder am Start, und war nebst Rütt der einzige Deutsche, der sich platzierte, denn ich gewann das kurze Handikap vor Poulain und Versi und Rütt und im Fremdenpreis wurde ich Zweiter hinter Rütt vor Nädela, Otto Meyer, Arend u.a.

In Essen konnte ich an Messori Revanche nehmen und ihn im Hauptfahren schlagen, ich blieb auch siegreich im Prämienfahren.

Bei einem Match am folgenden Sonntag gegen Arend und Barthel im Botanischen Garten (Berlin)erreichte ich mit Arend gleiche Punktzahl doch wurde Arend zum Sieger erklärt. Am 12ten September in Steglitz verlor ich meine Aussichten durch Magenkrämpfe. In der Meisterschaft von Deutschland wurde ich Dritter hinter Otto Meyer und Beltinger vor Wegener. Ich gewann aber das Handikap vor Wegener, Rüdela.

Nun ist halt wieder eine glückliche Saison vorüber und werde ich am 19ten Oktober wieder zur Königlichen Baugewerkschule zu Münster gehen

Clemens Schürmann

 

Clemens Schürmann sollte in den Folgejahren als reifer Rennfahrer weitere beachtliche Erfolge erfahren und bis 1927 aktiver Radrennfahrer bleiben.